Test: Spec Ops: The Line

Keine Zeit zu trauern
Das selbst gesteckte Ziel der Entwickler, ein Spiel zu erschaffen, dass dem Spieler nicht (nur) Spaß macht, sondern aufwühlt und sich schlecht fühlen lässt, wurde in meinen Augen nicht bzw. nur in den zwei zuletzt angesprochenen Situationen annähernd erreicht. Eindeutig zu wenig für ein „Antikriegsspiel“. Man könnte es so verbildlichen: Anstatt mir mit einem Basebeball-Schläger den Kopf zu zertrümmern, haut mir Spec Ops: The Line nur ab und zu mit einem hölzernen Kochlöffel auf die Schläfe. Nervig ist das schon, aber gut, ich werd's überleben.

Viel mehr als von einem „Antikriegsspiel“ kann man hier von einem „Antiheldenspiel“ sprechen. Denn am Ende der Geschichte sieht der Spieler in Captain Walker, und vielleicht auch in sich selbst, alles andere als einen Helden. Dumpfer US-Patriotismus ist hier also nicht. Aber wie gesagt, wirklich unwohl fühlt man sich nach dem Durchspielen der Kampagne eher weniger. Mag auch daran liegen, dass diese eine durchschnittliche Spielzeit von sechs bis acht Stunden hat (16 Kapitel inkl. Epilog). Am Ende des letzten Kapitels betrug meine Spielzeit gerade mal knappe fünf Stunden. Für ein Vollpreisspiel eindeutig zu wenig und auch ein Grund, weshalb Spec Ops: The Line seine Wirkung nicht entfalten kann. Alles muss schnell gehen, wir haben ja keine Zeit – die Entwicklung vom naiven Soldaten zum verwirrten Monster wischt am Spieler vorbei, wie Autobahn-Graffiti bei Tempo 200.

Konterkariert werden die Ambitionen der Entwickler und des Geschichten-Erzählers Walt Williams natürlich auch durch das eigentliche Spielgeschehen. Schließlich werden viele der Leichenberge im Spiel erst durch eure Hand verursacht. Von Checkpoint zu Checkpoint kämpft ihr euch mit eurem dreiköpfigem Team durch die vielen Deckung gebenden Barrikaden und Hindernisse. Die Massen an Gegnern erledigt ihr mit einem Arsenal an verschiedenen, leichten und schweren automatischen Waffen, Granat- und Raketenwerfern, Präzisionsgewehren und Granaten. Nur selten wird das Spielprinzip durch beispielsweise Railshooter-Einlagen auf Helikoptern und Tanklastern unterbrochen und aufgefrischt.

Als spezielles (Spiel-)Element tritt in Spec Ops: The Line immer wieder der alles umgebende Sand auf: Nicht nur müsst ihr euch stellenweise durch dichte Sandstürme schießen, auch ist es in einigen Situationen möglich, durch zerschießen von Scheiben oder Wänden, Gegner unter der gelb-braunen Masse zu begraben. Doch auch wenn dies nur selten vorkommt bzw. möglich ist, der Sand also eher ein Gimmick als ein Gamechanger ist, so stärkt diese Implementierung durchaus die Atmosphäre in der gottverlassenen Wüstenstadt.


10.07.2012 : Peter Lebrun