Test: Spec Ops: The Line

Sechs Monate sind vergangen, seit Dubai von einem riesigen Sandsturm verwüstet wurde. Von den 1,2 Millionen Bewohnern der Stadt harren nur noch wenige in den verschütteten Ruinen aus und kämpfen um Wasser und Nahrung. Von den von Colonel John Konrad angeführten US-Truppen, die bei der Evakuierung helfen sollten, fehlt jede Spur. Eine kleine US-Spezialeinheit um Captain Martin Walker soll nach Überlebenden suchen und diese aus den versandeten Schluchten retten. Doch in der surrealen Stadt am persischen Golf liegen nicht nur Wolkenkratzer und Golfplätze begraben. Auch der Begriff der Menschlichkeit ist in der Wüste verloren gegangen.
Einen Moment lang schmerzhaft
So pathetisch ich das Setting und das Story-Konzept von Spec Ops: The Line in der Einleitung auch beschrieben haben mag: In diesem Spiel wird nichts beschönigt. Das ist auch gleich die größte Stärke des vom Berliner Entwicklerstudio Yager produzierte Third-Person-Shooters. Als großes Vorbild wird dabei von Story Developer Walt Williams DER Antikriegsfilm überhaupt „Apokalypse Now“ von Francis Ford Coppola genannt.

Im Spiel wie im Film tritt eine kleine US-Spezialeinheit gegen eine übermächtige, von einem desertierten, und augenscheinlich wahnsinnig gewordenen, amerikanischen Offizier kommandierte Armee an. Beide Geschichten wollen dabei nicht die militärischen und politischen Aspekte des Krieges hinterfragen, sondern versuchen in die Psyche der Beteiligten abzutauchen. Es geht um die Frage, was der erbarmungslose Überlebenskampf in einer abgeschiedenen Hölle, von einem Wesen, das sich „Mensch“ nennt, übrig lässt. Gibt es so etwas, wie die „richtige“ Entscheidung überhaupt noch?

Die Art und Weise, wie diese Fragen beantwortet werden, haben den Film zu Recht zu einem der größten Film-Klassiker aller Zeiten gemacht. Spec Ops: The Line ist in dieser Hinsicht äußerst ambitioniert, aber lässt leider zu viel auf der Strecke, nimmt sich nicht genug Zeit, um die gleiche Wucht, wie sein großes Vorbild zu entwickeln.

Die Schlüsselmomente des Spiels sollen eigentlich jene sein, in denen dem Spieler die Wahl gelassen wird: Wen lasse ich am Leben? Wen richte ich eigenhändig? Doch diese Momente sind viel zu selten, viel zu schnell vorbei, als dass sie mich wirklich mein Handeln hinterfragen und mit den Folgen alleine vor dem Fernseher zurück lassen. Beispiel: Zwei Gefangene baumeln an Seilen gefesselt vor mir. Ich soll entscheiden – töte ich den Wasserdieb, oder den Soldaten, der zur Strafe die gesamte Familie des armen Mannes ausgelöscht hat? Vielleicht liegt es ja an mir, aber DAS soll eine schwierige Entscheidung sein? Natürlich hab ich den Soldaten abgeknallt. Arschloch.

Man mag sich darüber streiten, dass die getroffenen Entscheidungen keinen Einfluss auf den weiteren Spielverlauf haben, mich hat es nicht gestört. Dafür ist der finale Story-Twist zu gut inszeniert. Denn dieser ist es auch, der den einzig wirklich tragischen und Kopfschmerzen verursachenden Moment des Spiels als zentrales Element rekapituliert. Ich will hierzu nicht zu viel verraten. Ich sage nur: weißer Phosphor. Wer kurz googelt, wird schnell herausfinden, was das für ein Teufelszeug ist und wie gnadenlos es in vielen Kriegen und Konflikten auch gegen Zivilisten eingesetzt wird. Bezeichnend ist, dass dem Spieler in genau dieser Situation keine Wahl gelassen wird. Vielleicht ist es auch gerade die wortwörtliche Wahllosigkeit, die die sinnlose Grausamkeit und zermürbende Auswegslosigkeit des Krieges für einen kurzen, schmerzhaften Moment spürbar macht.


10.07.2012 : Peter Lebrun