Test: Max Payne 3

Fast ein Jahrzehnt haben Spieler auf ein Wiedersehen mit Max Payne warten müssen und dann das: Ein Glatzkopf im Hawaiihemd unter der sengenden Sonne São Paulos. Blasphemie in den Augen verbohrter Puristen. Seit die Rockstar Studios die alleinige Entwicklung von Max Payne 3 übernommen haben, ist der tragische Held nicht wiederzuerkennen. Oder doch? Ein zweiter Blick ist ratsam, denn die Wurzeln der Reihe sind weiterhin spürbar. Max ist ein Wrack – und das im besten Sinne!
Der Kampf gegen die eigenen Dämonen
Max hat der Polizeiarbeit den Rücken gekehrt und verdingt sich inzwischen als Personenschützer für die Familie Branco in Brasilien. Ein leichter Job, wie ihm sein Partner Raul Passos einst in einer heruntergekommenen Kneipe im nächtlichen New Jersey versicherte. Bei einem Scotch. Natürlich. Denn nach den Morden an seiner Frau und dem gemeinsamen Kind, ist Max nicht mehr derselbe. Die Geschehnisse des ersten und zweiten Teils haben Spuren hinterlassen und der tragische Held ist inzwischen ein notorischer Säufer, der obendrein Schmerzmittel einwirft als seien es Tic Tacs. Ein Wachkoma gegen den Kummer.

Und doch, begeistert ist Max nicht gerade von der Idee. Die Welt der Reichen und Schönen, das ist nicht seine Welt. Aber einen Drink lehnt er natürlich trotzdem nicht ab. Er mag ihn durchaus, diesen Passos, und sie sprechen über die gemeinsame Zeit auf der Polizeiakademie. Good old times! Dann stürmt der Sohn eines stadtbekannten Mafiabosses herein und mit ihm der Ärger. Instinktgetrieben verteidigt Max eine Hure und knallt den Kerl kurzerhand über den Haufen. Max und die Frauen – es war noch nie leicht. Aber nun bleibt ihm keine Wahl. Der verlebte Ex-Cop nimmt das Angebot an und verlässt das Land.

Zurück in Brasilien: Eine von vielen langweiligen Cocktailparties, die offiziell als Charity Event geführt werden. Max dreht seine Runden, kommentiert auf unverwechselbar zynische Art die wandelnden Klischees aus dem Off und wirft von der Dachterrasse aus einen Blick auf die Favelas am Fuße des Gebäudes. Es widert ihn an. Wie so vieles hier. Der mürrische Kerl genehmigt sich erst mal einen weiteren Scotch als plötzlich ungebetene Gäste auftauchen. Einer wild umher ballernden Gang gelingt es, die junge und hübsche Frau des Branco-Oberhaupts zu entführen. Max nimmt umgehend die Fährte auf und kämpft sich durch einen Sumpf undurchdringlicher Intrigen. Viel schwerer noch ist hingegen der Kampf gegen die inneren Dämonen. Max muss die Finger von der Flasche lassen, wenn er die Frau retten will.

Die Geschichte mag zunächst nach genreüblicher Kost klingen. Da ist der Held, da sind die Bösen, und schließlich ist da noch die Frau, die gerettet werden will. Doch dies ist nur das Grundgerüst für eine bis ins Detail ausgereifte Handlung, die kompromisslos ernst – und nicht zuletzt erwachsen – von einem glaubhaften Helden erzählt. Glaubhaft, weil sein Handeln nachvollziehbar und sein Schmerz spürbar ist. Eine zeitgemäße Weiterentwicklung des alten Stoffs, die den Noir-Elementen treu geblieben ist: Eine pessimistische Weltsicht, ein verbitterter und von der Gesellschaft entfremdeter „Held“ und eine Erzähltechnik, die sich einer Chronologie strikt verwehrt.


18.05.2012 : Benjamin Doum